Köln Postkolonial

Die Themen:

Die (koloniale) Begegnung

„Köln, der Völkertreffpunkt am Rhein – Fremde, die bei uns Heim und Herd fanden“

Marianne Bechhaus-Gerst

„21.000 Ausländer leben unter uns“ heißt es in einem Artikel der Sonntag-Ausgabe des Stadt-Anzeigers. Bislang ist wenig darüber bekannt, wie viele Menschen afrikanischer Herkunft dazu gehören. Im Stadt-Anzeiger gibt es im Frühjahr 1933 eine Serie mit der Überschrift: „Köln, der Völkertreffpunkt am Rhein,.“ Hier werden Einzelschicksale vorgestellt und am 5. März 1933 heißt es: „Ein elfjähriges Negerlein reist in die Welt.“ Erzählt wird die Geschichte eines kleinen Jungen namens Alakka, der 1889 in der ehemaligen Kolonie Togo geboren wurde. Schon als Siebenjähriger auf einer Missionsschule, wo er die deutsche Sprache erlernte, habe er nach Deutschland reisen wollen, heißt es in dem Artikel. Als Elfjähriger versucht er, seinen Traum zu verwirklichen, indem er als blinder Passagier auf einem Schiff der Woermann-Linie reist, die zwischen Hamburg und Lome verkehrt. Nach kurzer Zeit muss er sich aber zu erkennen geben.

„Nach drei Tagen geht es nicht mehr. Der Hunger tut so weh. Alakka erscheint an Deck. Er ist vom Kohlenstaub über und über bedeckt. Aber das sieht man nur, wenn man ganz nahe an ihn herangeht. Alakka ist ja ein Neger.“

Natürlich ist der deutsche Kapitän ein „guter Mensch“. Er macht den Jungen zu seinem Boy. Der Preis dafür ist der Verlust des eigenen Namens und damit der ursprünglichen Identität.

„Alakka ist Kapitänsboy geworden. Er muss dem Käptn die Schuhe putzen und die Kabine aufräumen. Der Kapitän sagte zu ihm: ‚Du heißt jetzt Smith, verstanden mein Junge? Also wie heißt du?’ Alakka sagt: ‚Ich heiße jetzt Smith, Käptn!’ Alakka freut sich, daß er Smith heißt und der Boy des Kapitäns ist.“

Smith, so erfahren wir, fährt nun zunächst zur See, wird dann aber bei einem Landgang von Landsleuten mit nach St. Pauli genommen und zum Trinken animiert. Da es ihm an Land besser gefällt, nimmt er eine Arbeit in einem Varieté in Dortmund an, wo er, in bunte Tücher, Perlen und Baststreifen gewickelt, Abend für Abend auftritt – drei Jahre lang. Dann wechselt er immer wieder seinen Job, stets, so wird angedeutet, auf der Suche nach der bequemsten Art, möglichst viel Geld zu verdienen. Smith arbeitet bei der Eisenbahn, bei einem Hochofenwerk in Hörde und als Hoteldiener in Iserlohn. Inzwischen spricht er sehr gut deutsch und hat eine ganz beträchtliche Geldsumme angespart. Aber, so wird in dem Artikel suggeriert, der Afrikaner kann mit dem erworbenen Wohlstand, wie wohl generell mit dem Leben in Deutschland, nicht umgehen. Denn eines Tages fährt er mit einem weiteren Togoer und seinem dicken Geldbeutel nach Köln, um sich zu amüsieren. Zwei Damen interessieren sich sofort für die „exotischen“ Gäste, man verbringt den Abend zusammen, trinkt viel und isst gut, wird immer betrunkener und merkt schließlich nicht, dass man bis aufs Hemd ausgenommen wurde und mit der Rechung plötzlich alleine dasteht. Von da an, so wird berichtet, wendet sich das „Glück“ Smiths. Er findet monatelang keine Stellung, irrt oft obdachlos durch die Straßen. Schließlich erbarmt sich ein „besserer Herr“ seiner und bringt ihn beim Zirkus Henny unter. Im Ersten Weltkrieg wird Smith in Hannover bei den 73er Füsilieren ausgebildet. Aufgrund eines Erlasses, der den Einsatz von Menschen afrikanischer Herkunft an der Front verbietet, wird Smith nach Köln geschickt, wo er im Artilleriedepot als Wächter unterkommt. Er lernt eine afro-amerikanische Frau kennen und heiratet 1915. Das Paar bekommt sieben Kinder. „Sieben Togonegerlein, die mit den Eltern in Riehl in einer Siedlung wohnen und dem Vater große Sorgen bereiten.“

Smith findet nämlich kaum Arbeit. In den Jahren zuvor hatte er eine „Ashanti-Schau“ organisiert und war damit einer der wenigen Afrikaner, die als unabhängige Völkerschauunternehmer tätig waren. Noch im Juli 1932 wurde diese Schau im Kölner Zoo gezeigt. 1933 jedoch ist die Zeit der Völkerschauen vorbei.

Der Artikel geht mit keinem Wort auf die Ursachen von Smiths Arbeitslosigkeit ein. Bereits in der Weimarer Republik war es für Menschen afrikanischer Herkunft nicht einfach gewesen, ein Auskommen zu finden und damit die Existenz zu sichern. Einigen wenigen gelang es, sich als Handwerker niederzulassen. In der Regel fanden sie nur dort eine Anstellung, wo sie wegen ihrer vermeintlichen „Exotik“ gefragt waren. Meist lautet die in den Adressbüchern verzeichnete Berufsbezeichnung „Artist“. Sie traten im Zirkus oder Varieté auf, und in großen Städten wie Berlin wurden sie gelegentlich wegen ihres Aussehens als Page oder Kellner in einem großen Hotel oder Restaurationsbetrieb beschäftigt. In der aufkommenden Jazz-Szene der 20er-Jahre wurden Menschen afrikanischer Herkunft gerne als so genannte „Lärmerzeuger“ am Schlagzeug eingesetzt. Viele waren aber auf finanzielle Unterstützung durch die Behörden angewiesen. Diese Abhängigkeit schürte schon früh die Diskussion darüber, ob AfrikanerInnen überhaupt ins Deutsche Reich gehörten. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme im Januar 1933 verschlechterten sich ihre Arbeitsbedingungen dramatisch. Aus Angst vor Schikanen oder vor dem Ausbleiben von Kunden wollte kaum ein Arbeitgeber noch Menschen afrikanischer Herkunft einstellen. Der Eintritt in die im Mai 1933 gegründete Deutsche Arbeitsfront blieb AfrikanerInnen und Schwarzen Deutschen verwehrt.

Der Artikel ist größtenteils in einem kindlich-naiven Stil gehalten, der suggeriert, Smith selbst würde hier erzählen. Der einmal erfolgreiche selbstständige Unternehmer wird schon in der Überschrift als „Negerlein“ bezeichnet, der auch im Erwachsenenalter der „Kindneger“ bleibt und der nicht mit dem Leben im „zivilisierten“ Deutschland zurechtkommt. Sein Scheitern wird seiner eigenen Unfähigkeit, nicht aber den Umständen in Deutschland zur Last gelegt. Im letzten Abschnitt des Artikels aber lässt man ihn planen, in seine Heimat zurückzukehren, sobald die Kolonien wieder gewonnen sind. Damit erweist er sich aus Sicht der Deutschen letztendlich als guter, wohlerzogener Afrikaner, der dahin zurückkehren will, wo er eigentlich hingehört.

Tatsächlich jedoch blieben Smith und seine Familie in Köln und sind nie mehr nach Togo zurückgegangen. Warum sollten sie auch? Smith, der als 11-jähriger seine Heimat verließ und offenbar keinen Kontakt zu seinen Angehörigen hatte, vor allem aber seine schließlich neun Kinder, waren das, was es im kolonialen Diskurs und nach nationalsozialistischer Ideologie nicht geben durfte, nämlich schwarze Deutsche.

 

Literatur

Illustrationen aus dem Stadt-Anzeiger für Köln und Umgebung, Sonntag 5. März 1933.

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Letzte Aktualisierung am: 27.03.2008