Köln Postkolonial

Die Themen:

Ereignisse

Karneval und Kolonialismus

Hildegard Brog
Matthias von der Bank

In den Jahren 1884 und 1885 befand sich Köln im „Afrikafieber“. Viele Kölner hatten mit großem Interesse die Reiseberichte des berühmten Geographen und Ethnologen Wilhelm Joest gelesen, die als viel beachtete Artikel in der Kölnischen Zeitung erschienen waren. Der aus der bekannten Kölner Zuckerdynastie stammende Namensgeber des heutigen Rautenstrauch-Joest-Museums, hatte ein ganzes Jahr lang das südliche und östliche Afrika bereist. Das Interesse am unbekannten Kontinent Afrika war erwacht. Im März 1884 hatte der Kolonialpolitiker Carl Peters die „Gesellschaft für deutsche Kolonisation“ gegründet. Im April hatte ein Schutzbrief Bismarcks die erste Kolonie Deutsch-Südwest-Afrika besiegelt; im Juli folgten Schutzbriefe für die deutschen Kolonien Kamerun und Togo. Und im November 1884 begann in Berlin die Kongo-Konferenz.


Titelblatt Festprogramm © Kölner Karnevalsmuseum

An diesen ungewohnten politischen Gegebenheiten musste sich der Kölner Volkswitz erst abarbeiten. So ist es auch nicht überraschend, dass der Rosenmontagszug vom Afrikafieber und den neuen Kolonien beeinflusst war. Bezeichnenderweise lautete das Zugmotto: „Held Carneval als Colonisator“.1 In jenem Jahr erlebten die Zuschauer einen äußerst ungewöhnlichen Rosenmontagszug. Eines steht fest: Schwarze Schuhcreme wird es nach diesem Karneval wohl in keinem Kölner Haushalt gegeben haben! Denn sie befand sich als Schminke auf der Haut aller Zugteilnehmer. Sie waren ausnahmslos schwarz!

Schon auf dem Titelbild des offiziellen Festprogramms setzte der Held Carneval einem schwarzen Einwohner der neuen Kolonie die Narrenkappe auf. Noch haftete dem ganzen Kolonialgedanken etwas Ungewöhnliches an, noch war es ein eher exotisches Thema. Erst im Laufe der nächsten Jahre, besonders im Zeitalter der von Wilhelm II. propagierten „Weltpolitik“, wurde die weltweite koloniale Expansion zu einem „nationalen Projekt“, das die öffentliche Debatte aufheizte.

Davon konnte 1884/85 noch keine Rede sein. Angesichts des ungewissen wirtschaftlichen und politischen Nutzens der Kolonien, schien die ganze Unternehmung auch eine närrische Komponente zu haben. Ein Anlass für die Kölner, sich ihrer eigenen kolonialen Vergangenheit zu erinnern. Auf dem Titelblatt wird die alt vertraute „Colonia Agrippina“ mit der neu gewonnenen „Colonia Anna Bequema“ in Bezug gesetzt. Der Name ist Programm: Denn hinter „Anna Bequema“ verbirgt sich „Angra Pequeña“, der alte portugiesische Name der Küstenregion in Südwest-Afrika, der späteren „Lüderitzbucht“.

Das Thema Kolonialismus wurde mit einem humoristischen Rückblick auf die Geschichte eingeleitet. Man erinnerte sich in Köln daran, dass man selber einmal als Kolonie begonnen hatte, bevor man über Jahrhunderte auf der Leiter der Kulturentwicklung nach oben schritt. Als erste bekannte Kolonisten marschierten in einer Fußgruppe die „Pfahlbauern“, hier wörtlich genommen als „dicke Pfähle“ verkleidet. Erstmals hatte man 1854 in der Schweiz Siedlungen von steinzeitlichen Bauten gefunden, die am Ufer des Zürichsees auf Pfählen errichtet worden waren. Ihre Bewohner erhielten von daher den Namen „Pfahlbauern“. Die Entdeckung stellte eine historische Sensation dar, die erstmals einen Einblick in das Alltagsleben der mitteleuropäischen Urzeit bot. Weltweit nahm man Interesse an den Pfahlbauern, die zum Synonym für Steinzeitmenschen wurden.

Konsequent schloss sich an die „Pfahlbauern“ der „Kölner Bauer“ an, seit Jahrhunderten Symbol der Stadt Köln. Im nächsten Schritt erinnerten die alten Römer und der Wagen der Agrippina an die Zeit Kölns als römischer Kolonie. Erst durch das römische Imperium kam die Kultur ins Land der Ubier. Ganz ähnlich dachten sich auch die Kölner Narren die Kolonialisierung Afrikas: Nun dürfen die schwarzen Ureinwohner von der Kultur des Deutschen Reiches profitieren. Ganz ernst nahm man diesen Kulturexport nicht, denn allzu oberflächlich nur umhüllte die „Wilden“ die schnell erworbenen Segnungen der modernen deutschen Kultur.

Der Spott der Kölner Narren ging dabei offensichtlich in zwei Richtungen: Zum einen machte man sich über die Afrikaner lustig, die völlig unvorbereitet von den „Kulturleistungen“ überrollt wurden und diese nur nachäfften, statt wirklich zu verstehen. Zum anderen richtete sich der Spott indirekt auch auf die preußisch-deutsche Regierung und hier besonders die Armee, die per Dekret und schneidigem Kommando im Eilverfahren aus den „Wilden“ neue „Kulturträger“ machen wollte. Ein närrisches Unternehmen, das hier ganz im Sinne der seit Jahrzehnten gepflegten Satire auf preußische Stereotypen gedeutet wird.

„Moderne Culturträger“ lautete die Bezeichnung eines Wagens, auf dem eine Holzhütte unter Palmen zu sehen war. „Aechte Menschenfresser“ war auf dem daran angebrachten Schild zu lesen. Angespielt wurde hierbei auf die Schwarzafrikaner, die kurz zuvor in Castans Panoptikum unter der Bezeichnung „Australneger“ ausgestellt waren. Es folgte ein Amazonen-Musikkorps. Schwarze Frauen in krinolinenartige Röckchen gekleidet und mit Pickelhauben auf dem Kopf. „Sie gewähren einen drastisch-komischen Anblick, diese halbwilden gezähmten weiblichen Musikanten, und erst der musikalische Genuss, er ist himmlisch!“ schrieb die Kölnische Zeitung.2

Bei diesem und den folgenden Bildern aus dem Rosenmontagszug von 1885 treffen wir auf eine Fülle von Klischees über Schwarzafrikaner: Es beginnt bei der Kleidung, die aus dem bekannten Baströckchen besteht, ergänzt durch große Ohrringe und die obligatorischen Knochen in der Hand. Hier wird der Eindruck erweckt, wir hätten es mit Kannibalen zu tun, mit zurückgebliebenen Wilden, die uns Furcht einflößen sollen. Doch wir bekommen keine Angst, sondern beginnen zu lachen. Beim nächsten Wagen waren die bekannten Stereotype mit preußischen Requisiten vermischt.


Wagen Erste Colonisations-Einrichtung
© Kölner Karnevalsmuseum

„Erste Colonisations-Einrichtung“ war dieser Wagen betitelt: „Unter Palmen, – es ist so poetisch – werden die ersten schwarzen Rekruten einexerciert, unter Palmen zahlt der Schwarze seine Steuern dem neuen Vaterlande, unter Palmen übt er, geführt von liebenden Händen, sein freies Wahlrecht aus!“ kommentierte die Kölnische Zeitung diese Auseinandersetzung mit den neuen Kolonien spöttisch. Wie ironisch dieses Aufeinandertreffen von preußisch-deutschen Staatsvertretern und der einheimischen afrikanischen Bevölkerung verstanden wurde, ergibt sich auch aus dem offiziellen Rosenmontagszugprogramm. Ob sich die Kölner dabei mehr über ihre eigenen Landsleute oder über die Afrikaner lustig machten, ist schwer zu sagen:

„Alles starrt von Gewehren und Bajonnetspitzen, und von den schwarz-weißen Grenzpfählen schauen die schnurrbärtigen Gesichter preußischer Gensdarmen herunter. Als erste Errungenschaft der Zivilisation haben wohl die Steuereinnehmerstellen im Vordergrunde, der Exerzierplatz in der Mitte, wo ein preußischer Unteroffizier den Schwarzen ‚Langsamschritt‘ beibringt, und die Wahlurne im Hintergrunde zu gelten. Kaum glaublich, aber wahr, die deutschen Staatsbürger in Labberitzland besitzen freies Wahlrecht! Zwei Gensdarmen haben einen Wähler des 11. Wahlbezirks von Little-Popo beim Kragen gefasst, drücken ihm einen Wahlzettel in die Hand und leiten ihn energisch zur Erfüllung seiner Bürgerpflicht an.“3

Es folgte eine Fußgruppe Rekruten aus Laberitzland, eine Verballhornung des nach dem Bremer Kaufmann benannten Lüderitzlandes. Diese kräftigen Gestalten, denen laut Kölnischer Zeitung „eine militärische Erziehung“ gut tun würde, wurden der deutschen Armee zugeführt. Ihnen folgte ein Janitscharen-Musikkorps, das den neuesten Cavalleriemarsch spielte. Sie trugen einen ärmellosen weißen Frack, roten Federschurz, Helm und Commißstiefel.


Wagen Import und Export © Kölner Karnevalsmuseum

Mit dem Wagen „Import und Export“ kam die wirtschaftliche Bedeutung der kolonialen Erwerbungen zur Sprache. Während die Kolonisten die reichen Naturschätze von „Labberitzland“, wie Kupfer, Gold und Elfenbein ausbeuteten, wurden den Eingeborenen im Tausch die Produkte der Zivilisation angeboten. Mit ironischem Blick enttarnte der Wagen den zweideutig-nutzlosen Charakter der europäischen Tauschwaren – allesamt nicht lebensnotwendiger Luxus, wie „Stollwerck’sche Brustbonbons“ oder das „Eau de Cologne“ von Farina. Als besonders anrüchiger Import aus Europa entsteigt einer vergitterten gelben Kutsche eine zweifelhafte Dame. Der Name „Kunigunde“ auf der Kutsche spielte auf die im 19.Jahrhundert weithin bekannte Moritat „Eduard und Kunigunde“ an. Dort wurde in makaber-lustigen Versen das Mörderpärchen „Eduard und Kunigunde“ umschrieben, das letztendlich am Galgen endete.4 Hier dürfte eine Dame gemeint sein, die auf sexuelle Abenteuer in Afrika aus war, denn der Begleittext spricht von einer „Kunigunde, irgend einem schwarzen Eduard verführerisch zunickend“. Die erotischen Beziehungen zwischen Schwarz und Weiß gehörten zu den Themen, die die Phantasie des damaligen Publikums am stärksten beschäftigten, gerade weil sie gesellschaftlich so stark tabuisiert wurden.

Den Höhepunkt des Zuges bildete wie immer der Wagen des Prinzen Karneval. Ihm machten einige afrikanische Fürsten ihre Aufwartung, wie die Kölnische Zeitung festhielt:„In fantastischem Aufzuge erscheinen mehrere annectirte wilde Fürsten, welche auf dem Rücken wirklicher Kamele sitzen, die Hagenbeck für den Zug freundlich geliehen hat. Als Geschenke bringen die schwarzen Hoheiten Strauße und Elefanten, die von Negerknaben geführt werden. Die reichen Schabracken, der sonderbare Putz, die bunten Gewänder, die heimatlichen Waffen, das alles macht die eigenartige Gruppe hochinteressant.“5


Wagen Prinz Carneval © Kölner Karnevalsmuseum

Ein Musikcorps täuschend nachgemachter berittener Afrikaner kündete durch seine lustigen Weisen die Ankunft des Helden des Tages, des heitern Prinzen an; die berittene Ehrengarde Sr. Tollität zeigte sich und dann erschien der Galawagen, auf dem Prinz Karneval seinen Triumphzug durch Köln erlebte. „Auf hohem Untersatz erhebt sich die Erdkugel, und auf dem Meere fährt ein segelgeschwelltes reich geschmücktes Schiff, die „Anna Bequema“, auf welcher der Colonisator dahinzieht, um seiner geliebten Stadt am Rhein seinen Besuch abzustatten. Das Steuer führt der Humor, der dem Prinzen auch auf der schwarzen Erde treu geblieben ist, und die neuen deutschen Brüder sitzen traulich auf den Ecken des Wagens und ergötzen sich an dem tollen Jubel in kindlicher Freude. Der Prinz aber bietet von seinem Throne herunter der hilligen Stadt seine herzlichen Grüße.“6

Passend zum Motto des Rosenmontagszuges gab es auch das entsprechende Karnevalslied: die Congo-Polka nach dem Text und der Melodie von Karl Wirts. Hier wurde ein Zusammenhang hergestellt zwischen der kurz zuvor erfolgten Stadterweiterung mit dem Abriss der Stadtmauer und den neuen Kolonien. Da die Kölner Kappesbuure kein Land zum bewirtschaften haben, wandern sie nach Afrika aus! Denn hier herrscht, im Gegensatz zu Kölle, die wahre Idylle:

Barfooß un ohne Sorge
Läv mer en Freud un Glöck.
Weil einem fröh am Morge
Nit glich der Schooh als dröck...

Mer bruch kein Stör zo zahle
Un keiner weed Zaldat,
Un bei de Stadtratswahle
Weed keine Blamm gemaht....

Hanswoosch eß och gekumme
Jitz an der Congostrand,
Se jöcken ald de Trumme
Em Labberitzeland...
Wenn mer he fädig sin,
Dann gon mer all dohin.

Refrain:
Heut sehn wir uns zum allerletztenmal
Jetzt gehts nach Afrika. Jetzt gehts nach Afrika! 7

Wie dieser Liedtext zeigt, trieben die Kölner Jecken nicht nur mit ihren Wagen und Kostümen, sondern auch in Worten mit den Afrikanern und mit der Kolonialpolitik ihren Spaß.

1 Kölner Carneval 1885. Offizielle Darstellung des Rosenmontagszuges nach Originalzeichnungen von Tony Avenarius. Köln 1885
2 Kölnische Zeitung Nr. 45; 14. Febr. 1885
3 Kölner Carneval 1885; S. 5
4 Die Moritat ist im Allgemeinen Deutschen Kommersbuch enthalten, der wichtigsten Liedersammlung für studentische Verbindungen im 19.Jh. Diese bis heute immer wieder neu aufgelegte Sammlung darf als Allgemeingut der gebildeten Stände gelten, da sie jedem Verbindungsstudenten bekannt war. Allgemeines Deutsches Kommersbuch. Hrsg. v. Friedrich Silcher und Friedrich Erk. Lahr 1858.
5 Kölnische Zeitung Nr. 45; 14. Febr. 1885
6 Kölnische Zeitung Nr. 45; 14. Febr. 1885
7 Paul Mies: Das Kölnische Volks- und Karnevalslied. Köln 1964; Nr. 65

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Letzte Aktualisierung am: 27.03.2008