Köln Postkolonial

Die Themen:

Institutionen

Flora/Botanischer Garten und die koloniale Botanik

Marianne Bechhaus-Gerst

Die Flora (mit dem Botanischem Garten) in Köln kann als Teilareal eines sehr viel größeren kolonialen Raumes angesehen werden, der zum Ende des 19. Jahrhunderts als „Die Goldene Ecke“ bezeichnet wurde. Neben der Flora (und später dem Botanischen Garten), die 1864 ihre Pforten öffnete, gehörten zur „Goldenen Ecke“ der 1860 eröffnete Zoo gleich gegenüber und eine größere Anzahl an Vergnügungslokalen, Restaurants und Theater, die unmittelbar an das Gelände von Zoo und Flora anschlossen. Insgesamt bot dieses große Areal Amüsement, Freizeitbeschäftigung und Entspannung für die nicht unbeträchtliche Arbeiterklasse Kölns wie auch für die sich entwickelnde Mittelklasse. Ein Stadtführer von 1887 spricht von 50.000 bis 60.000 Menschen, die die „Goldene Ecke“ an einem sonnigen Sonntag besuchten.1

Was machte das Ganze zu einem kolonialen Raum? Der Kölner Zoo präsentierte – wie so viele in dieser Zeit eröffneten Zoos – das „Exotische“, das „Fremde“, Unbekannte, Wilde und Ungezähmte, das nun gezähmt, bezeichnet und kategorisiert wurde. Wilde Tiere aus Übersee nach Europa, nach Köln zu holen und auszustellen, wurde zum Symbol vom Eroberung und Herrschaft, von Dominanz über die fremde Natur. Ganz abgesehen davon wurden viele der ausgestellten Tiere von kolonialen „Abenteurern“ und Tierfängern nach Europa gebracht.


Die „goldene Ecke“ © Sammlung Bechhaus-Gerst

Die erwähnten Vergnügungslokale in der „Goldenen Ecke“ – unter anderem gab es auch eine Dependance von Castans Panoptikum aus Berlin – präsentierten so genannte Völkerschauen oder „Menschenzoos“, „exotische“ Menschen aus Übersee für ein zahlendes Pub­likum. Mit Flora/Botanischer Garten, Zoo und Vergnügungslokalitäten gab es also in Köln-Riehl auf einem zusammenhängenden Areal drei unterschiedliche Unterhaltungsformen für die Kölner Bevölkerung. Dabei war die Trennung zwischen diesen Angeboten nicht strikt. Völkerschauen fanden an verschiedenen Orten statt. Und in Zoo und Flora gab es Restaurationsbetriebe und auch musikalische oder andere Darbietungen zur Unterhaltung der Besucher*innen. Flora/Botanischer Garten, Zoo und Vergnügungslokalitäten waren aber auch Orte der kolonialen Erziehung und des kolonialen Unterrichts, mit denen Notwendigkeit und Nutzen des kolonialen Projekts einer brei­teren Öffentlichkeit vermittelt werden sollten. Alle drei Orte präsentierten – zumindest symbolisch – Objekte (oder Opfer) von Aneignung und Eroberung – Pflanzen, Tiere und Menschen. Das koloniale Projekt versuchte, die Welt unter Kontrolle zu bringen – sowohl physisch als auch epistemologisch. Kolonialismus war in nicht geringem Maße ein erzieherisches Projekt. Man kann festhalten, dass das Areal im Stadtteil Riehl in Kölns kolonialer Topographie eine bedeutende Rolle gespielt hat.

Die meisten Kölnerinnen und Kölner unterscheiden heute nicht mehr zwischen Flora und Botanischem Garten. Es gibt hier aber zwei Entwicklungsstränge. Wie in vielen anderen größeren Städten gab es auch in Köln schon lange vor der Aneignung von Kolonialbesitz durch das Deutsche Reich einen Botanischen Garten. Dieser erste Garten wurde etwa 1801 für die Öffentlichkeit zugänglich, geht aber zurück auf einen Schulgarten, den die Jesuiten in Köln schon im 17. Jahrhundert eingerichtet hatten. Als der Orden 1773 aufgelöst wurde, bekamen Studierende der Botanik der Kölner Universität die Möglichkeit, dort Pflanzen zu studieren. Schließlich erwarb man zusätzliche Grundstücke und errichtete den ersten Botanischen Garten auf dem Gelände. Diesem war aber keine lange Lebensdauer vergönnt. Er lag nämlich genau dort, wo 1859 der große Bahnhof der Stadt, der heutige Hauptbahnhof eröffnet wurde.2 Um diesen Verlust zu ersetzen, wurde 1862 von einflussreichen Kölner Bürgern das „Comitee zum Bau eines Botanischen Zier- und Lustgartens“ gegründet. Das neben dem Zoo liegende Grundstück mit einer Fläche von 5,6 Hektar wurde für die geplante Anlage gekauft. Den Gesamtentwurf der Flora übernahm der aus Bonn stammende preußische Gartenkünstler und General-Gartendirektor der königlich-preußischen Gärten, Peter Joseph Lenné, der sich vom französischen Barock- und italienischen Renaissance-Garten sowie englischen Landschaftsparks inspi­rieren ließ. 1864 wurde die Flora eröffnet. Im Mittelpunkt der Anlage stand der sogenannte Glaspalast, der sich u.a. am Londoner Crystal Palace orientierte. Das Gebäude diente als Palmenhaus, wurde aber auch für festliche Bälle und andere Unterhaltungs­veranstaltungen genutzt. Eine zeitgenössische Postkarte des Palmenhauses verdeutlicht, wie im Zentrum der Flora von Anfang an die „Tropenbotanik“ präsentiert wurde, die wenig später – als „koloniale Botanik“ propagiert – eine bedeutende Rolle spielte. Wenngleich die Flora primär als ein Ort der Unterhaltung und Entspannung für die Kölner Bürger präsentiert wurde, waren (koloniale) Wissensproduktion und koloniale Propaganda wichtige Bestandteile. Die Pflanzen wurden zu Instrumenten kolonialer und kolonialrevisionistischer Aneignungsphantasien.

 


Palmenhaus in der Flora
© Sammlung Bechhaus-Gerst

Die erste große, publikumswirksame Veranstaltung in der Flora, bei der die koloniale Botanik prominent präsentiert wurde, war die „Internationale Jubiläums-Gartenbau-Ausstellung“, die zunächst vom 4. August bis 19. September, dann verlängert bis zum 1. Oktober 1888 stattfand. Schon auf dem Titelbild zum Führer durch die Ausstellung sind tropische Pflanzen erkennbar. Jubiläumsausstellung hieß die Veranstaltung, weil sie zum 25-jährigen Bestehen der Gartenbau-Gesellschaft „Flora“ stattfand. Als Generalsekretär der Ausstellung wurde der Botaniker Peter Esser nach Köln geholt.


Titelbild des Führers durch die Gartenbauausstellung vom 4. August - 19. September 1888

Die Deutsche Kolonialzeitung (DKZ), das Presseorgan der Deutschen Kolonial­gesellschaft, warb in einer Ankündigung der Ausstellung für die „hervorragenden Kolonialsammlungen“, die gezeigt werden sollten.3 Tatsächlich wurde unter Essers Regie eine „Halle für Colonialprodukte“ eingerichtet, an deren Ausstattung sich ver­schiedene große Plantagen- und andere Kolonialgesellschaften beteiligten. „Zu den sehenswertesten Ausstellungsgegenständen gehören unstreitig die der Colonial­producten-Halle“, heißt es in der eigens herausgegebenen Ausstellungszeitung.4 Eine umfassende Präsentation der Vielfalt an pflanzlichen Produkten aus Übersee war ein wichtiges kolonial-propagandistisches Mittel, den Kölner Bürgerinnen und Bürgern den Sinn und Nutzen des kolonialen Projekts des Deutschen Reichs „zu verkaufen“. Den meisten Menschen fehlte das Bewusstsein dafür, welche Bedeutung die vielen ver­schiedenen pflanzlichen Produkte aus Übersee für die deutsche Wirtschaft wie auch für jeden einzelnen Haushalt bereits gewonnen hatten. In der DKZ und in der Ausstellungs­zeitung wurde über die ausgestellten Rohstoffe oder verarbeiteten Produkte berichtet: Kopale, Gummi, Kautschukranken, Proben von Ebenholz, Fasern, aus denen sich Matten herstellen lassen, Perlhirse/Pennisetum, Henna, rohe Baumwolle, verschiedene Tabakarten, Kolombopflanzen, die Hopfen ersetzen könnten, Zuckerrohr, Vanille, Tamarinde, Ölpflanzen, Apfelsinen, chinesische Langbohnen, Mais, Mimosenrinde, Bananen, Kopra, Matten, Fächer, polierte Hölzer, Muskatnuss, Hanftaue, Palmöl, Palmkerne, Kakao, Kaffee, Tee u.v.m.

Dass die meisten dieser pflanzlichen Rohstoffe aus eigenen Kolonien kamen, zeugte nicht zuletzt von der machtvollen Position, in der man sich als Kolonialherren sah. Und diese machtvolle Position machte es möglich, die pflanzlichen Rohstoffe und Produkte einzubetten in Präsentationen von Ethnographika, wie Waffen und Schmuck. Diese gebe „einen Einblick in das Leben und Schaffen, die Sitten und Gebräuche der Bewohner jener Gegenden“, aus denen die Produkte stammten.
 

Wenn die Besucherinnen und Besucher sich ausruhen wollten, konnten sie sich in exotisierenden oder orientalisierenden Etablissements wie dem Türkischen Pavillon oder dem chinesischen Café bewirten lassen.

Die Gartenbau-Ausstellung fiel in eine Zeit, in der die Schokolade zunehmend zu einem Produkt für die Massen wurde. Bis 1914 entstanden zahlreiche Schokoladen­fabriken in Köln, für die große Mengen an Kakao und Kokosfett benötigt wurden. Es kann also nicht verwundern, dass Kakao und Kakaoprodukte – vor allem von der Kölner Firma Stollwerck – aufwändig präsentiert wurden. Die Firma Stollwerck ließ einen Obelisken aus Kakaofrüchten errichten, dessen Spitze der preußische Adler zierte. Die Schokolade sei „ein Nahrungsmittel, […], welches reich und arm, groß und klein stets willkommen ist“, heißt es in der Ausstellungszeitung. Die Schokolade wurde konstruiert als die große Gleichmacherin, die alle gleichermaßen von der Notwendigkeit kolonialen Besitzes überzeugen sollte.
 


Werbung für Stollwerck-Schokolade

Um den erzieherischen Aufgaben der Botanik weiterhin gerechnet zu werden, wurde 1890 an der Vorgebirgsstraße im Kölner Süden ein „Zentralschulgarten“ angelegt. Dort wurden Pflanzen ausgesät und gezüchtet, die für den Unterricht an Kölner Schulen benötigt wurden. Ein Artikel in der Kölnischen Zeitung von Oktober 1900 vermittelt einen guten Eindruck von der Organisation der praktischen schulischen Pflanzenlehre: „Täglich morgens früh werden die am Abend vorher abgeschnittenen und mit Namen versehenen Pflanzen durch Wagen den Schulen überbracht. Die Stadt ist zu dem Zwecke in sechs Bezirke eingeteilt, von denen die höheren und mittleren Schulen zweimal, die Volksschulen einmal in der Woche je zwei bis drei Arten erhalten.“5 Es wurde aber auch Unterricht im Garten selbst erteilt, wo „eine Anordnung der Pflanzen nach dem natürlichen System“ zu beobachten war.

 



Lage des alten Botanischen Gartens

 

Es kann nicht überraschen, dass auch Kolonialpflanzen wie Baumwolle, Reis und Zuckerrohr zu den Schulpflanzen gehörten. 1892 hatte nämlich Peter Esser, der so erfolgreich die Internationale Gartenbauausstellung organisiert hatte, die Leitung des Gartens übernommen. Esser baute den Schulgarten zu einem vollwertigen Botanischen Garten aus. Die Botanik der 1901 gegründeten Handelshochschule, Vorläuferin der Universität, nutzte ein Gebäude im neuen Botanischen Garten als Institut und für Übungen, Vorlesungen und Labor­arbeiten. In Unterricht und Forschungsgepräge der Handelshochschule zeigten sich in vielfacher Weise kolonialwirtschaftliche Interessen, wie Anne-Kathrin Horstmann in ihrer Dissertation über die Kölner Hochschulen im Kolonialismus zeigen konnte.6 Ab dem Wintersemester 1904/1905 unterrichtete Esser an der Handelshochschule und bot dort u.a. eine Vorlesung über „Die Kulturgewächse der Deutschen Kolonien und ihre Erzeugnisse“ an. Anschauungsobjekte gab es genug im Botanischen Garten. Entlang des kombi­nierten Hörsaals/Labors fanden sich Anpflanzungen von Bananenstauden und Palmen.

Wenngleich, als Schulgarten konzipiert, der Botanische Garten an der Vorgebirgsstraße zunächst ein expliziter Ort der Bildung war, so wurde er allmählich auch ein Ort der Erholung für „alle Schichten der Bevölkerung“. Wenn für diese auch kein Unterricht stattfand, so blieb doch die Präsentation kolonialer Nutzpflanzen als wichtiges Element des Gartens für die Erholungssuchenden offen.

Auch der Botanische Garten an der Vorgebirgsstraße musste dem Eisenbahnbau recht bald weichen. Der Ausbau des Güterbahnhofs Bonntor nahm zunehmend Platz in Anspruch, und der Botanische Garten musste immer mehr Raum abgeben. Die Stadt entschloss sich schließlich, das an die Flora angrenzende Grundstück zu erwerben und dort ab 1912 nach Plänen von Peter Esser einen neuen Botanischen Garten anzulegen, der 1914 eröffnet wurde. Der Botanische Garten war durch eine Mauer ohne Durchgang von der Flora getrennt. Man sah hier zunächst durchaus eine strikte Zweiteilung zwischen der Flora als Lust- und Ziergarten und dem Botanischen Garten als Ort von Lehre, Forschung und Bildung. Allerdings schätzte man den Vorteil der unmittelbaren Nachbarschaft, die „glückliche Platzwahl“ ganz realistisch ein. „Dadurch ist nicht nur der volkswissenschaftliche Rahmen eines jeden einzelnen der beiden Gärten erst ganz vervollkommnet und gegenseitig ergänzt, […], es wird auch der rein lehrhafte Inhalt einer botanischen Sammlung auf solche Weise für den Laien ganz beträchtlich schmackhafter, insofern letzterer zugleich in die angenehme Lage versetzt wird, seine wißbegierigen Beobachtungen zeitweise durch gute Musik und freundliche Bewirtung unterbrechen zu können“, heißt es in einem Artikel in der Kölnischen Zeitung von Oktober 1915.7

 


Der neue botanische Garten – durch eine Mauer von der Flora getrennt

 

Um den ergänzenden Charakter noch deutlicher zu machen, wurde schon fünf Jahre später, 1920, die Mauer abgerissen. Flora und Botanischer wurden miteinander verbunden, so wie man es heute kennt. Der alte Garten an der Vorgebirgsstraße blieb in verkleinerter Form Sitz des Botanischen Instituts, Ort der Lehre, des Studiums und des Forschens. Leiter des 1914 eröffneten Botanischen Gartens in Riehl blieb bis zu seiner Pensionierung Peter Esser. In der Person Peter Essers vereinigten sich fast 40 Jahre lang die universitäre Lehre in der Botanik, die botanische Erziehung der Bürger und die öffentlichkeitswirksame Präsentation und Konstruktion von Pflanzenräumen und -welten sowie die Instrumentalisierung der Pflanzenwelt für koloniale Propaganda. Als die Kölner Universität 1919 neu gegründet wurde, wurde Esser zum a.o. Honorarprofessor für Botanik ernannt. Mit Esser beginnt auch die Reihe der Institutsdirektoren, die im Nebenamt Leiter des Botanischen Gartens waren. Esser sorgte für den Ausbau der Kolonialpflanzensammlung im Garten und ließ verschiedene „Warmhäuser“ für tropische Pflanzen, darunter insbesondere für „koloniale Nutzpflanzen“ wie Kaffee, Kakao, Baumwolle, Kapok, Sisal, Reis, Maniok und Bataten errichten. Auch in der Freilandabteilung wurden „subtropische Kolonialpflanzen“ angebaut. Während man in den verschiedenen Abteilungen des Botanischen Garten bestimmte Naturräume möglichst detailgetreu nachzubauen versuchte – so etwa eine Alpenlandschaft – scheint bei den angepflanzten sogenannten kolonialen Nutzpflanzen tatsächlich eher deren Nutzbarmachung, z.B. durch Verbesserung des Anbaus, im Vordergrund gestanden zu haben.8

Nachfolger von Esser und erster Ordinarius für Botanik wurde 1928 Hermann Sierp, der den Ausbau der „Kolonialpflanzensammlung“ weiter vorantrieb. 1928 waren die Kolonien schon seit 10 Jahren verloren und der Verlust des Zugangs zu preiswerten pflanzlichen Rohstoffen wurde als schmerzhaft empfunden. Die Kölner Botanik stellte sich unter Sierp ganz in den Dienst der kolonialrevisionisti­schen Forderungen nach Rückgabe der Kolonien. Eines der letzten Großereignisse, bei dem die koloniale Pflanzenwelt und ihre Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung und den Wohlstand des Landes einer breiten Öffentlichkeit präsentiert wurde, war die Deutsche Kolonialausstellung 1934 in der Deutzer Messe, die ganz im Zeichen des Haken­kreuzes stand. Im Begleitheft zur Ausstellung heißt es: „Die Deutsche Kolonialausstellung in Köln 1934 soll dazu beitragen, den kolonialen Gedanken in die Herzen und Köpfe einzupflanzen, damit das deutsche Volk die ungeheure Bedeutung überseeischen Besitzes für Deutschland erkennt. Gerade unsere Schwierigkeiten der Einfuhr von Rohstoffen aus Übersee müssen jedem Deutschen zu denken geben. Wie anders würden wir dastehen, wenn wir diese Rohstoffe aus eigenen Kolonien einführen könnten! Wir müssen uns darüber klar werden: Ohne Kolonien Armut und Not, mit Kolonien Arbeit und Brot!“9 Die Bedeutung der pflanzlichen Rohstoffe wurde nicht zuletzt dadurch unterstrichen, dass man einen Botaniker, Prof. Friedrich Tobler aus Dresden, den Beitrag zur Bedeutung der Kolonien für die heimische Wirtschaft im Ausstellungsführer schreiben ließ. Tobler war 1932 bis 1936 Vorsitzender der Abteilung Dresden der Deutschen Kolonialgesellschaft bzw. des Reichskolonialbundes. Tobler betonte, dass für eine blühende deutsche Wirtschaft pflanzliche Rohstoffe aus eigenen Kolonien unverzichtbar seien. Insbesondere erwähnte er pflanzliche Fette wie Kokos- oder Ölpalmfett, Erdnüsse, Reis, Kaffee und Kakao. Gerade bei letzterem Produkt sei der Bedarf gestiegen. Zu den pflanzlichen Produkten gehörten aber auch Baumwolle, Sisal, Jute und natürlich Kautschuk. Hinzu kämen die verschiedenen in der Heilkunde verwendeten pflanzlichen Drogen.10

Hermann Sierp trug mit einer Abteilung „Tropische Nutzpflanzen“ zur Ausstellung bei. In einem eigenen Beitrag zum Ausstellungsführer macht Sierp die Leser*innen zunächst mit dem Begriff „koloniale Nutzpflanzen“ vertraut. Sechszehn Jahre nach dem Verlust der Kolonien war nicht jeder mehr mit den kolonialen Begrifflichkeiten vertraut, eine neue Generation war herangewachsen. Die Lebensmöglichkeit der Produktions- wie Verbraucherländer sei von diesen „kolonialen Nutzpflanzen“ abhängig, betonte Sierp. Nach einer Aufzählung der unterschiedlichen und zahlreichen pflanzlichen Produkte führte der Botaniker aus: „Wenn man bedenkt, welche Mengen dieser kolonialen Pflanzenprodukte in jedem Haushalt verbraucht werden, dann wird klar, wie wichtig es wäre, diese Dinge in eigenen Kolonien, das heißt im eigenen Lande zu erzeugen.“11

Um den Besucherinnen und Besuchern der Kolonialausstellung in der Messe genau diesen Zusammenhang von preiswerten pflanzlichen Rohstoffen aus eigenen Kolonien und dem persönlichen Haushalt zu verdeutlichen und ihnen gleichzeitig das Gefühl einer Reise in die Überseegebiete zumindest andeutungsweise zu vermitteln, hatte man „lebende Vegetationsbilder“ mit Leihgaben aus dem Botanischen Garten geschaffen und sogar auf den Freiflächen vor dem Staatenhaus eine echte Baumwollkultur angelegt. Man konnte – für diese Zeit sicher kein alltäglicher Genuss – frische Ananas und Bananen aus Kamerun kosten. Außerdem hatte man Süßkartoffeln, Reis, Zuckerrohr, Kaffee, Kakao und Gewürzpflanzen aus den ehemaligen Kolonien importiert. Hier wurde öffentlichkeitswirksam, unterhaltsam und Sehnsüchte weckend mit pflanzlichen Produkten koloniale Propaganda betrieben.


„Lebende Vegetationsbilder“ in der Kölner Messe
© Bildbestand der DKG, Frankfurt

 

Auch jenseits öffentlichkeitswirksamer Veranstaltungen setzte sich Sierp bis zu einer schweren Erkrankung für die Rückgewinnung der Kolonien ein. Er hielt Vorlesungen zur kolonialen Botanik oder ließ Studierende an seiner „Tropensammlung“ arbeiten. 1938 schließlich wurde Sierp zum Leiter der neu geschaffenen „Zentralstelle für Kolonialfragen“ an der Universität zu Köln ernannt, 20 Jahre nach dem Verlust der Kolonien. Erst mit dem Russlandfeldzug wurden 1942/43 alle Ambitionen bezüglich Rückgewinnung der Kolonien aufgegeben.

 

1 Joachim Brokmeier: Die Goldene Ecke von Köln – Das Amüsierviertel in Riehl. Erfurt 2009, S. 7ff.
2 Klaus Napp-Zinn: Die „Kölner Botanik“ zwischen alter und neuer Universität, in: Naturwissenschaften und Naturwissenschaftler in Köln zwischen der alten und der neuen Universität (1798-1919), hrsg. Von Martin Scharzubach, Köln 1985, S. 119-168; Stadtanzeiger Nr. 415, 12. September1891; Kölner Tageblatt Nr. 62, 4. März 1895; Localanzeiger Nr. 78, 22. März 1910.; Stadtanzeiger Nr. 320, 27. Juni 1926.
3 Deutsche Kolonialzeitung (DKZ) 1888, Nr. 33, S. 264.
4 Illustrirter Führer durch die Internationale Gartenbau-Ausstellung in Köln vom 4. August bis 19. September 1888
5 Kölnische Zeitung Nr. 806, 14. Oktober 1900.
6 Anne-Kathrin Horstmann: Wissensproduktion und koloniale Herrschaftslegitimation an den Kölner Hochschu-len. Ein Beitrag zur „Dezentralisierung“ der deutschen Kolonialwissenschaften, Frankfurt 2015.
7 Kölnische Zeitung Nr. 1023, 8. Oktober 1915; siehe auch Stadtanzeiger 23III, 15. Januar 1911; Localanzeiger Nr. 89, 1. April 1914.
8 Vgl. Anm. 2 und Anm. 6.
9 Deutsche Kolonial-Ausstellung, Köln 1934, S. 7.
10 Ebd., S. 26-29.
11 Ebd., S. 30-31.

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Letzte Aktualisierung am: 22.08.2023