Köln Postkolonial

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Gravenreuthstraße1

Marianne Bechhaus-Gerst

Karl Freiherr von Gravenreuth
Karl Freiherr von Gravenreuth

Benannt nach Karl Friedrich Freiherr von Gravenreuth
Geboren: * 12. Dezember 1858 in München
Gestorben: † 5. November 1891 vor Buea, Kamerun (vergifteter Speer)

Die Benennung der Straße erfolgte kurz nach Gravenreuths Tod am 30.12.1891.

Von Gravenreuth war seit 1879 Offizier in der bayerischen Armee. Ab 1885 war er für den Dienst der u.a. von Carl Peters gegründeten Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft (DOAG) beurlaubt. Er nahm an einer so genannten „Expedition“ unter Carl Peters’ Führung teil, die der kolonialen Aneignung von Gebieten in Ostafrika diente. Nach der Gründung der „Schutztruppe“ unter von Wissmann trat von Gravenreuth als Kompaniechef bei und wurde zum Stellvertreter des Reichskommissars Wissmann ernannt. Bei der Niederschlagung des so genannten „Araberaufstands“ von 1888/1889 bekämpfte er an der Seite Wissmanns den Widerstand der Küstenbevölkerung gegen die unrechtmäße Aneignung ihrer Gebiete und die Zerstörung der gewachsenen Strukturen. Vom Hauptort Bagamoyo aus befehligte er eine Reihe von brutalen Kriegszügen. Im Mai 1889 war an der Erstürmung des Lagers von Buschiri bin Salim, einem der Anführer des Widerstands, in der Nähe von Bagamoyo beteiligt. Nach einem kurzen Prozess vor einem Kriegsgericht wurde Bushiri am 15. Dezember 1889 öffentlich gehängt. Im Januar 1890 besiegte Gravenreuth mit Bana Heri einen weiteren Anführer des Widerstands. Seine „Durchschlagskraft“ trug von Gravenreuth den Beinamen „Simba wa Mrima“ („Löwe der Küste“) ein.

Nach einem kurzen Aufenthalt in Europa 1890 ging von Gravenreuth 1891 im Auftrag der deutschen Regierung in die Kolonie Kamerun, um eine Expedition zur Aneignung des nördlichen Kameruns zu leiten und eine „Polizeitruppe“ genannte Söldnertruppe zu gründen, die den Widerstand der einheimischen Bevölkerung gegen das Vordringen brechen sollte. Gravenreuth kaufte im benachbarten Dahomey 370 versklavte Männer und Frauen.2 Diese Männer und Frauen mussten sich vertraglich verpflichten, fünf Jahre als Soldaten, Träger*innen oder Farmarbeiter*innen für das Gouvernement zu arbeiten. Den für ihre „Befreiung“ gezahlten Betrag mussten sie zunächst abarbeiten, ohne für ihre Tätigkeiten entlohnt zu werden. „So wurde durch Ausnutzung bestehender Sklavereiverhältnisse und unter Umgehung des Reichstags die Frage der Beschaffung von Soldaten für eine künftige Polizeitruppe in Kamerun gelöst.“3

Mit Hilfe dieser Truppe wurden die ersten kriegerischen Vorstöße ins Inland von Kamerun gemacht. Der Kauf der „Dahomeysklaven“ führte zu der „Dahomeykontroverse“, in der besonders die Franzosen den Vorwurf erhoben, dabei handele es sich um „eine Art verkappter Sklaverei“, denn die Nachfrage nach den Sklaven würde sicher zu einer Vermehrung der Sklavenjagden führen. Sein eigenmächtiges Vorgehen wurde aber auch durch das Gouvernement und die Kolonialabteilung heftig kritisiert.

Mit den Dahomey-Soldaten unternahm von Gravenreuth so genannte „Strafexpeditionen“, bei denen Dörfer, von denen vermeintlicher Widerstand ausging, überfallen und niedergebrannt, ihre überlebenden Bewohner vertrieben wurden.

Auch unter den Dahomey-Soldaten waren wegen der schlechten Lebensumstände auf den Expeditionen täglich Tote zu verzeichnen, da sie unterernährt und oft zu krank waren, um den Strapazen gewachsen zu sein.4 Drei Monate nach ihrer Ankunft auf Kameruner Gebiet war bereits ein Drittel gestorben. Häufig waren die Soldaten während der Märsche angekettet, da sie nicht selten versuchten zu fliehen.5

Bei einer der „Strafexpeditionen“ wurde von Gravenreuth am 3. November 1891 beim Sturm auf ein Dorf der Bakweri (Kpé) tödlich getroffen.

 

Zusammenfassung

  1. Gravenreuth war zweifellos ein glühender Anhänger des „kolonialen Projekts“, das er nicht zuletzt als Offizier, Kompaniechef, Stellvertreter des Reichskommissars von DOA und Gründer einer paramilitärischen Polizeitruppe auf vielfache Weise unterstützte oder sogar etablierte.
  2. Seine militärischen Unternehmungen in Deutsch-Ostafrika und Kamerun müssen in ihrer Brutalität als Verbrechen im Kontext des Kolonialismus gewertet werden. Sein Kauf von Männern und Frauen, ihr Einsatz als unfreie Arbeiter*innen und Soldaten, ihre unmenschliche Behandlung mit Inkaufnahme ihres Todes muss ebenfalls als Verbrechen im Kontext des Kolonialismus gewertet werden (und wurde schon von Zeitgenossen kritisiert).
  3. Gravenreuths Vorgehen in DOA und Kamerun weist ihn als im rassistischen Diskurs seiner Zeit fest verankerten kolonialen Täter aus.

 

Quellen

Gravenreuths Aktionen in Kamerun sind durch zahlreiche Bestände im Bundesarchiv nachzuvollziehen. Die Bestände sind online einsehbar.

1 Der Beitrag ist im Wesentlichen mit einem Gutachten der Verfasserin für das Amt für Liegenschaften, Vermessung und Kataster identisch.
2 Zu Gravenreuth und die sogenannten Dahomey-Soldaten siehe Morlang, Thomas: Askari und Fitafita. „Farbige” Söldner in den deutschen Kolonien. Berlin 2008, S. 94-96; Michels, Stefanie: Michels, Stefanie: Schwarze deutsche Kolonialsoldaten. Mehrdeutige Repräsentationsräume und früher Kosmopolitismus in Afrika, Bielefeld 2009, S. 96-99.
3 Rüger, Adolf: „Der Aufstand der Polizeisoldaten“, in: Helmut Stoecker (Hrsg.), Kamerun unter deutscher Kolonialherrschaft, Bd. 1, Berlin 1960, S. 97-148, hier S. 104.
4 Michels, Stefanie: Imagined Power Contested. Germans and Africans in the Upper Cross River Area 1887-1915, Münster/Berlin 2004, hier S. 129.
5 Wie Anmerkung 2, hier S. 105.

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Letzte Aktualisierung am: 28.07.2023