Köln Postkolonial

Die Themen:

Personen

Marie Pauline Thorbecke in Kamerun

Marianne Bechhaus-Gerst

»Und drinnen waltet / Die züchtige Hausfrau, / Die Mutter der Kinder, / Und herrschet weise / Im häuslichen Kreise«,1 heißt es noch bei Friedrich Schiller. Mag dieses bürgerliche Ideal der Weiblichkeit für einen Großteil der Frauen des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts nach wie vor Wirklichkeit gewesen sein, so gab es auch schon zu dieser Zeit reisende Frauen, die den vermeintlich sicheren Herd verließen und in die Fremde zogen. Die Reiseanlässe waren sicherlich vielfältig. Es gab exzentrische Abenteurerinnen, treusorgende Ehefrauen, die ihre Männer begleiteten und unterwegs versorgten, Frauen, die vor ungeliebten gesellschaftlichen Konventionen flüchteten oder sich dem kolonialen Projekt ihres Heimatlandes verschrieben hatten. Viele reisende Frauen hinterließen genau wie ihre männlichen Kollegen ausführliche Reiseberichte.

In der wissenschaftlichen Literatur zu reisenden Frauen wird häufig der emanzipatorische Aspekt ihrer Unternehmungen in den Vordergrund gerückt. Ihre Reisetexte werden dementsprechend meist biografisch gelesen und aus ihrem diskursiven Kontext herausgerissen. Dabei wird inmitten der vielen Alltagsgeschichten aus Frauensicht und der Berichte über Begegnungen mit Frauen und Kindern, die in solchen Reisebeschreibungen häufig vorkommen, deutlich, dass Frauen einen wesentlichen Anteil an der Konstruktion des „Anderen“ und an der kolonialen Praxis hatten. Auch der weibliche koloniale Blick, der sich in den Selbstzeugnissen reisender Frauen präsentiert, eignet sich die andere Kultur an, zeugt von der Frau als Täterin.

Nachfolgend soll beispielhaft Marie Pauline Thorbecke, die lange in Köln lebte und mit dem Professor für Geografie in Köln, Franz Thorbecke, verheiratet war, vorgestellt werden. Ihre hinterlassenen Schriften zeigen, dass sie dem kolonialen Diskurs ihrer Zeit fest verhaftet war und sich in den rassistischen Konstruktionen des afrikanischen „Anderen“ nicht von ihren männlichen Zeitgenossen unterschied.

Marie Pauline Thorbecke, geborene Berthold, wurde am 12. August 1882 in Aurich geboren. Sie wurde als Malerin der Worpsweder Schule ausgebildet, beschäftigte sich mit Fotografie und bildete sich in Berlin und Paris in den bildenden Künsten fort.2 Im Jahr 1909 heiratete sie den Geografen Franz Thorbecke, der acht Jahre später Professor am Geographischen Institut zunächst der Kölner Handelshochschule, dann an der neu gegründeten Kölner Universität werden sollte.

Marie Pauline Thorbecke begleitete ihren Mann von Herbst 1911 bis Anfang 1913 auf einer Expedition ins Landesinnere von Kamerun – als einzige Frau im Team. Franz Thorbecke war bereits 1907/08 als Teilnehmer der Kamerunexpedition des Reichskolonialamts in der deutschen Kolonie zu Forschungszwecken unterwegs gewesen. Auch 1911 handelte es sich um eine koloniale Unternehmung, da die Expedition zu wesentlichen Teilen von der Deutschen Kolonialgesellschaft finanziert wurde.3 Wie bei allen entsprechenden Unternehmungen hoffte man auf Ergebnisse, die in der Praxis – das heißt bei der kolonialen Aneignung, Verwaltung und Wirtschaft – verwertbar sein würden.

In ihrem veröffentlichten Reisebericht „Auf der Savanne“ bezeichnet Marie Pauline Thorbecke sich selbst als Malerin der Expedition, die aber letztendlich auch alle anderen anfallenden Tätigkeiten übernahm. Dies war nicht zuletzt deshalb notwendig geworden, weil der einzige weitere deutsche Teilnehmer, Leo Waibel, wegen einer Erkrankung recht bald ausfiel.4 Offenbar gehörten auch ethnologische Befragungen zu Marie Paulines Aufgaben. Trotz der von ihr übernommenen Aufgaben erhielt sie kein Gehalt, vielmehr musste sie für ihre Reisekosten selbst aufkommen. Offenbar war es vor der Reise zu Auseinandersetzungen mit und innerhalb der Deutschen Kolonialgesellschaft gekommen, da einige Mitglieder eine mitreisende Frau, die zudem noch nie in Afrika gewesen war, als Hindernis betrachteten.5 Dabei machte sie sich schließlich mehr als nützlich, indem sie sich „nebenbei“ auch um alle hausfraulichen Belange, wie Essen und medizinische Pflege im Krankheitsfall, kümmerte. Als ihr Mann und der mitreisende Leo Waibel einmal gleichzeitig krank wurden, übernahm sie alle notwendigen Tätigkeiten, einschließlich der Peilung und Erstellung von Kartenskizzen.6

Die Expedition legte in 13 Monaten mehr als 2000 Kilometer zurück, und Marie Pauline Thorbecke beteiligte sich intensiv an den Verhandlungen zum Erwerb ethnologischer Exponate: „Unser Haus ist das reinste Museum“, schreibt sie am 16. Januar 1912. „[Wir] haben fabelhafte Schätze eingehandelt, meist von Weibern, die uns das Haus förmlich gestürmt haben, als sie merkten, daß sie bei uns Geld, Tabak, Stoffe, Parfüms, Spiegel für ihre Töpfe. Körbe, Schmucksachen und Pfeifen bekämen.“7 Zum Ende des Jahres 1912 berichtet sie stolz, man habe wahre „Schatzkammern von alter Tikar-Bronzekunst, darunter Armbänder und Glocken, entdeckt und gehoben“.8 Das Ehepaar Thorbecke war vor allem an alten Gegenständen interessiert, die für europäische Museen besonders wichtig waren. Die koloniale Herrin kehrt Pauline Thorbecke in diesem Zusammenhang stets dann heraus, wenn sie sich von den afrikanischen Handelspartnern übervorteilt fühlt. Die einheimischen Hausa als erfahrene Händler ließen sich nicht übervorteilen und wollten möglichst hohe Gewinne aus den Verkäufen der Waren zu erzielen. Dabei hatten sie die Rechnung jedoch ohne Frau Thorbecke gemacht, die offenbar nicht vor nicht vor Tätlichkeiten zurückschreckte: „Jedesmal glauben sie, einen ganz Dummen zu haben, und fordern für eine Sache, die man für fünf Mark kaufen kann, dreißig. Dann fliegt ihnen ihr Ding an den Kopf, und sie fliegen hinaus, mit der Weisung, sich drei Tage nicht blicken zu lassen.“9 Unzweifelhaft ging sie hier nicht von einer gleichberechtigten Handelsbeziehung aus und konnte nur Häme über jene ergießen, die in dieser Sache ihren eigenen Standpunkt vertraten.

Gleich zu Beginn ihres Reiseberichts beschreibt sie ihre eigene Überraschung darüber, wie schnell sie sich „an den Anblick“ der Einheimischen „gewöhnt habe“.10 Doch getreu dem rassistischen Diskurs ihrer Zeit weiß sie zu differenzieren. Ihrer Ansicht nach sind vor allem die Kameruner Männer umso schöner, „je weniger Kleider“ sie tragen. Und sie beschreibt die „tadellos gewachsene[n]“ Männer mit ihren „Riesenmuskeln“ wie „glänzende[...] Bronzen“ ganz so, als gäbe sie ihre erotischen Fantasien preis. Dabei feiert sie in den halb nackten Männern den unverdorbenen „Naturmenschen“, der sich von seinen europäisch gekleideten Landsleuten angenehm unterscheidet. Diese europäische Kleidung sei grundsätzlich „schmutzig“ und „zerrissen“, und die Köpfe der Menschen, die diese tragen, seien „häßlich“. Bedauernd muss sie feststellen, dass die von ihr so geschätzten „Naturmenschen“ vor allem in der Stadt Duala nicht mehr zu finden seien.11

In den verschiedenen Arbeiten der Marie Pauline Thorbecke zeigt sich der weibliche koloniale Blick. Im von Hans Zache herausgegebenen Band Das deutsche Kolonialbuch darf sie über „die schwarze Frau in Kamerun“ schreiben. Ganz in der Tradition Friedrich Hegels, der Afrika als den geschichtslosen, im immer gleichen Zustand verharrenden Kontinent konstruierte, schreibt Thorbecke über die afrikanische Frau: „Unberührt von dem großen Weltgeschehen, das sich in den letzten Jahrzehnten auf dem Boden Afrikas, an der Küste und im Innern, abgespielt hat, verläuft das Leben der schwarzen Frau in uralten, immer gleichbleibenden Formen.“12 Die Frauen charakterisiert sie als in der Regel fleißige „Arbeitstiere“, auf denen „alle Last des Lebens und der Nahrungsbeschaffung liegt“.13 Die Stellung der Frau in einer Gesellschaft ist für Thorbecke der Maßstab ihrer „Kulturhöhe“ insgesamt. Als „kulturell gehobene“ afrikanische Gesellschaften sieht sie jene an, in denen die Frauen vorwiegend damit beschäftigt sind, „sich zu schmücken, sich bedienen und bewundern zu lassen“.14 Sie ist damit vollkommen einem traditionellen Frauenbild verhaftet, nach dem eine gut gestellte Frau es „nicht nötig hat“ zu arbeiten.

Gleichzeitig sieht Thorbecke die afrikanische Frau als Teil eines kapitalistischen Kreislaufs, „der doch vielfach als ein Merkmal der modernen Industriegesellschaft angesehen wird“.15 Was im kapitalistischen Europa die Warengüter, so ihr Fazit, sind in Afrika die Frauen, die aufgrund ihrer relativen Knappheit in einer polygamen Gesellschaft ein wertvolles Gut darstellen. Fast schon widerwillig muss sie aber zugeben, dass in vielen afrikanischen Gesellschaften die Frau ein entscheidendes Wort bei ihrer Verheiratung mitzureden hat und auch ein voreheliches Sexualleben als selbstverständlich angesehen werden kann. Insgesamt ist ihr aber jegliche Solidarität mit den einheimischen Frauen fern.

Auf der Rückreise der Expedition aus dem Landesinnern an die Küste wurden teilweise bis zu 120 einheimische Träger zum Transport der mitgebrachten Güter benötigt. Spurten die Träger – die „Boys“ – nicht wie gewünscht, so zögerte man nicht, die Peitsche einzusetzen. Auf den wenigen Fotos, die Marie Pauline Thorbecke zeigen, präsentiert sie sich als „Herrenreiterin“ hoch zu Ross.


Marie Pauline Thorbecke hoch zu Ross in Kamerun
(Auf der Savanne, S. 53)

Obwohl Marie Pauline Thorbecke während der 15-monatigen Expedition zumindest zeitweise alle anfallenden Forschungsarbeiten erledigte, machte nach ihrer Rückkehr ihr Ehemann die Karriere: Die Forschungsreise ebnete ihm den Weg zu einer Professur. Mit dem zweiten Band der Forschungsergebnisse konnte er sich habilitieren und erhielt einen Lehrstuhl in Köln, den er bis 1942 innehatte. „Der Verlust der Kolonien war der größte Schmerz für Franz Thorbecke“, schrieb Marie Pauline später über ihren Mann.16 Beide wurden Teil der kolonialrevisionistischen Bewegung, die sich für die Rückgewinnung der Kolonien einsetzte. 30 Jahre arbeitete Marie Pauline als unbezahlte Assistentin für ihren Mann und trat dabei auch öffentlich in Erscheinung. 1951 wurde sie in einer späten Ehrung in Köln zur Ehrenvorsitzenden der Gesellschaft für Erdkunde gewählt. Sie starb 1971 in Freiburg/Niederelbe.

1 Friedrich Schiller: Lied von der Glocke.
2 Näheres zur Biografie Marie Pauline Thorbeckes findet sich in Pytlik, Anna: Träume im Tropenlicht. Forscherinnen auf Reisen. Reutlingen 1997.
3 Vgl. Schnee, Heinrich (Hg.): Deutsches Kolonial-Lexikon, Leipzig 1920, S. 479.
4 Vgl. Thorbecke, Marie Pauline: Auf der Savanne. Tagebuch einer Kamerunreise, Berlin 1914, S. XI.
5 Vgl. Pytlik: Träume im Tropenlicht, S. 21.
6 Vgl. Thorbecke: Auf der Savanne, S. 100.
7 Ebd., S. 54.
8 Ebd., S. 202.
9 Ebd., S. 168.
10 Ebd., S. 7 f.
11 Ebd., S. 8.
12 Thorbecke, Marie Pauline: Die schwarze Frau in Kamerun, in: Zache, Hans (Hg.): Das deutsche Kolonialbuch, Berlin/Leipzig 1926, S. 296-301, hier S. 296.
13 Ebd., S. 297.
14 Ebd.
15 Ebd., S. 299.
16 Zitiert nach Pytlik: Träume im Tropenlicht, S. 89.

zur Navigation

Über diese Webseite:

Letzte Aktualisierung am: 04.11.2023