Köln Postkolonial

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Konrad Adenauer und die Kolonialbewegung

Marianne Bechhaus-Gerst

Dass Konrad Adenauer, langjähriger Oberbürgermeister von Köln und erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, ein prokolonialer Akteur war, ist von der historischen Forschung und seinen Biografen weitestgehend ignoriert worden.1 In der breiten Öffentlichkeit dürfte seine Rolle in der Kolonialbewegung, vor allem im Kolonialrevisionismus, als sich Adenauer für die Rückgewinnung der nach dem Ersten Weltkrieg verlorenen Kolonien einsetzte, gänzlich unbekannt sein. Dabei wurde er am 29.5.1931 zum Vizepräsidenten der Deutschen Kolonialgesellschaft (DKG), der einflussreichsten prokolonialen Organisation im Deutschen Reich, gewählt. Eine systematische Untersuchung zu Adenauers Rolle in der Kolonialbewegung und seinen Weg zum Vizepräsidenten der DKG steht noch aus.2 Hier sollen aber einige Schlaglichter auf sein Engagement in Köln und im Dachverband geworfen werden.

Schon im Jahr 1913 erscheint Adenauers Name im Kontext der Kölner Kolonialbewegung in einer Broschüre zum Sommerfest des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft, Abteilung Köln, das am 21. Juni 1913 in Köln-Marienburg stattfand. „Herr und Frau Beigeordneter Adenauer“ führen die alphabetische Liste der Mitglieder des Ehrenausschusses für das Sommerfest an.3 Unklar ist noch, ob Adenauer schon in dieser Zeit Mitglied der DKG wurde. Es haben sich nur wenige, sehr frühe Mitgliederlisten der Kölner Lokalabteilung erhalten, auf denen sein Name nicht erscheint.4 Sicher kann bislang festgestellt werden, dass er in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre – Adenauer war seit 1917 Oberbürgermeister von Köln – im Vorstand der Kölner Lokalabteilung der DKG war.5

Ab diesem Zeitpunkt lassen sich seine Aktivitäten in der Kolonialbewegung zumindest in Ansätzen verfolgen. Im November 1926 organisierte die „Arbeitsgemeinschaft für Kolonial-, Grenz- und Auslanddeutschtum zu Köln“ eine koloniale Werbewoche, die Adenauer mit einer Ansprache eröffnete.6 Im Dezember 1927 befragte die Zeitschrift „Europäische Gespräche. Hamburger Monatshefte für auswärtige Politik“ 200 Personen des öffentlichen Lebens zu ihrer Haltung zur Kolonialbewegung – darunter auch Konrad Adenauer.7 Auf die Frage, ob und – wenn ja – aus welchen Gründen das Deutsche Reich den Erwerb von Kolonien anstreben solle, gibt Adenauer eine eindeutige Antwort: „Das Deutsche Reich muß unbedingt den Erwerb von Kolonien anstreben. Im Reiche selbst ist zu wenig Raum für die große Bevölkerung. Gerade die etwas wagemutigen, stark vorwärtsstrebenden Elemente, die sich im Lande selbst nicht betätigen konnten, aber in den Kolonien ein Feld für ihre Tätigkeit finden, gehen uns dauernd verloren. Wir müssen für unser Volk mehr Raum haben und darum Kolonien.“8

Als wenige Monate später, im Mai 1928, in Köln die „Internationale Presse-Ausstellung“, die „Pressa“, ein Prestigeprojekt Konrad Adenauers, eröffnet wurde, brachte man genau dieses Zitat an prominenter Stelle an. Im Rahmen der „Pressa“ fand auch eine „Koloniale Sonderschau“ in der Kölner Messe statt; mit deren Grundmotiv „Raum ohne Volk und Volk ohne Raum“ sollte einem breiten internationalen Publikum der Anspruch des Deutsch Reichs auf Wiedererlangung der Kolonien nahegebracht werden.9 Da passte die Forderung des prominenten Kölner Oberbürgermeisters genau ins Programm.


Das prominent angebrachte Zitat Adenauers auf der „Internationalen Presse-Ausstellung (Pressa)“ 1928.

Am 29. Mai 1931 wurde Adenauer auf der Vorstandssitzung der Deutschen Kolonialgesellschaft in Berlin einstimmig zum Vizepräsidenten der Gesellschaft gewählt.10 Allerdings war er nicht die erste Wahl für diesen Posten. Man hätte wohl einen Kandidaten aus dem Finanzbereich bevorzugt. Aber sowohl der Bankier Franz Urbig als auch der langjährige Reichsbankpräsident und früh überzeugte Nationalsozialist Hjalmar Schacht hatten dankend abgelehnt.11 Adenauer war selber nicht bei seiner Wahl in Berlin präsent – er hatte sich wegen anderweitiger Verpflichtungen entschuldigen lassen –, benachrichtigte aber unmittelbar nach der Wahl den Vorstand der DKG per Telegramm von seiner Annahme.12 In der Begründung seiner Wahl, die in der „Übersee- und Kolonial-Zeitung“ veröffentlicht wurde, legte man ausführlich seine Leistungen und politischen Erfolge lokal, regional und überregional dar. „Aussenpolitische und wirtschaftliche Fragen haben ihn auch zu tieferer Beschäftigung mit dem Kolonialproblem geführt und zu einem überzeugten Vertreter des Kolonialgedankens gemacht“, heißt es im Text, der am Ende wieder Adenauers Antwort aus den „Europäischen Gesprächen“ zitiert.13


Konrad Adenauer als Vizepräsident der Deutschen Kolonialgesellschaft (Übersee- und Kolonialzeitung 1931, Nr. 7.

Die Vizepräsidentschaft brachte eine größere Präsenz Adenauers in der Kölner Kolonialbewegung mit sich. So nahm er am 15. Juli 1931 an der Jahreshauptversammlung der Kölner Abteilung der DKG teil. Es sei ihm „wegen Überlastung mit Amtspflichten schwer gefallen“, seine Wahl anzunehmen, erklärte er auf der Zusammenkunft. Er habe sich dennoch dazu entschlossen, „weil er der kolonialen Frage für Land und Volk größte Bedeutung beimesse“. „Wenn wir in Zukunft wieder Kolonien haben wollten, müßten wir vor allem den kolonialen Gedanken volkstümlich machen und in die breitesten Schichten der Bevölkerung tragen“, zitiert ihn der Kölner Lokal-Anzeiger.14


Anzeige aus der Kölnischen Zeitung für den kolonialen Werbeabend im Gürzenich am 29.11.1931

Am 29. November 1931 veranstaltete die Arbeitsgemeinschaft für koloniales Grenz- und Auslanddeutschtum unter Führung der Kölner Lokalabteilung der DKG einen kolonialen Werbeabend im vollbesetzten Kölner Gürzenich. Als erster Hauptredner trat Konrad Adenauer mit einer Grundsatzrede zur deutschen „Kolonialfrage“ auf, auf die sich näher einzugehen lohnt.
Seine Rede beginnt mit einem europäischen Vergleich: Deutschland sei das „volkreichste Land Europas“, seine Bevölkerung sei aber auf engem, zudem kargen Raum bei ungünstigem Klima zusammengedrängt.15 Den anderen europäischen Kolonialmächten stünden bei einer wesentlich geringeren Bevölkerung die weiten Räume ihrer überseeischen Gebiete zur Verfügung. Dazu fehlten günstige Rohstoffe aus eigenen Kolonialgebieten. „Wenn eine europäische Macht aus lebensnotwendigen Gründen der Kolonien bedarf, dann bedarf Deutschland ihrer“, heißt es weiter.
„Was muss das Ziel der deutschen Kolonialbewegung sein?“, fragt Adenauer im zweiten Teil seiner Rede und gibt gleich eine Antwort. Zumindest die afrikanischen Kolonien sollten dem Deutschen Reich zurückgegeben werden, notfalls zunächst nur als Mandat. Für Adenauer ist es ein „heiliges Recht“ der Deutschen, Kolonien zu besitzen, ohne die das Land „verkümmern“ muss.
„Wo ist noch Raum für uns?“, ist der dritte Teil seiner Rede betitelt, und nicht zum ersten Mal imaginiert er den afrikanischen Kontinent als menschenleeren Raum: „Europa und Asien sind überbevölkert, Amerika gehört den Amerikanern, Australien den Australiern: der einzigste Erdteil der noch Raum bietet, ist Afrika.“ Es versteht sich von selber, dass mit den erwähnten Amerikanern und Australiern nicht die First Nations, sondern die weißen Kolonialist*innen gemeint sind. In einer Zeit der „inneren Zerissenheit“ legt Adenauer Wert auf die Feststellung, dass das koloniale Projekt ein überparteiliches sein sollte, das „Angehörigen aller Parteien, aller Stände und Berufe zu Gute kommen würde“. Alle Deutschen sollten deshalb die Deutsche Kolonialgesellschaft bei ihrer Arbeit unterstützen. Es handele sich „um völkische und wirtschaftliche Notwendigkeiten, es handelt sich aber auch um eine ethische Aufgabe des deutschen Volkes und um ein Gebot der Selbstachtung“, leitet Adenauer zum letzten Teil seiner Ausführungen über. Nach seiner Ansicht sei gerade das deutsche Volk mit „seinen vielen guten Eigenschaften, seinen Kenntnissen, seinem Fleiss, seinem Ordnungssinn, seiner Liebe zu Arbeit“ zur „grossen Aufgabe der Zivilisation berufen“. Er gibt seiner Befürchtung Ausdruck, dass durch die „erzwungene Abtretung“ der Kolonien das deutsche Volke nicht nur entwürdigt, sondern sogar als ein „nicht fortgeschrittenes Volk“ gegenüber den „fortgeschrittenen“ Völkern mit Kolonialbesitz „abgestempelt“ würde. „Das deutsche Volk darf nicht ruhen und rasten, bis auch diese Unterscheidung in Völker erster und zweiter Klasse der Vergangenheit angehört“, schließt Adenauer seine Rede.
Adenauer gab in seiner Rede ein eindeutiges Bekenntnis zum Deutschen Kolonialismus und zum Projekt der Rückgewinnung, über das auch in der Presse ausführlich berichtet wurde.16


Propagandaveranstaltung im vollbesetzten Gürzenich (Übersee- und Kolonialzeitung 1932, Nr. 1).

Adenauers konkretes Engagement in der Kolonialbewegung war sehr viel weniger spektakulär, als seine Grundsatzrede erwarten ließ. Er unterstützte aus einem „Dispositionsfond“ kleine Projekte, wie mit 200 RM eine Expedition der Missions-Verkehrs-Arbeitsgemeinschaft (MIVA), deren 1. Vorsitzender er war, auf den afrikanischen Kontinent.17 Zu den Versammlungen von Vorstand und Hauptausschuss der DKG in Berlin fuhr er fast nie, sondern ließ sich regelmäßig entschuldigen. Eine Ausnahme stellte die mit einer Vorstandssitzung und Hauptversammlung verbundene 50-Jahr-Feier der DKG im Oktober 1932 dar, zu der Adenauer nach Berlin anreiste.18

Adenauers politische Karriere kam mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten Ende Januar 1933 zu einem vorläufigen Ende. Damit war er auch für die offizielle Kolonialbewegung nicht mehr tragbar. Auf der Sitzung des Hauptausschusses der DKG Ende März 1933 diskutierte man nicht lange über Adenauers politisches Schicksal unter den Nationalsozialisten, sondern zog sich auf den Standpunkt zurück, man habe ihn ja in seiner Eigenschaft als Oberbürgermeister von Köln zum Vizepräsidenten gewählt. Da er dieses Amt aber nicht mehr ausübe, habe man sich entschieden, Franz Xaver Ritter von Epp als neuen Vizepräsidenten zu wählen.19 Damit wurden in der DKG die Weichen gestellt für eine zukünftiges enges Zusammenwirken von Kolonialbewegung und Nationalsozialismus.

1 Es gibt zahlreiche Biografien zu Konrad Adenauer. Siehe z.B. Schwarz, Hans-Peter Die Ära Adenauer. Gründerjahre der Republik. 1949–1957. Stuttgart/Mannheim 1981; Die Ära Adenauer. Epochenwechsel. 1957–1963. Stuttgart/Mannheim 1983; Adenauer. Der Aufstieg. 1876–1952.Stuttgart 1986; Adenauer. Der Staatsmann. 1952–1967. Stuttgart 1991.
2 Einen ersten Überblick über Adenauers koloniales Engagement bietet Horstmann, Anne-Kathrin: „Das deutsche Volk braucht Kolonien“ – Konrad Adenauer und der Kolonialrevisionismus, in: Marianne Bechhaus-Gerst & Anne-Kathrin Horstmann (Hg.): Köln und der deutsche Kolonialismus. Eine Spurensuche, Köln 2013, S. 197-203.
3 Anonym.: Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft Abteilung Köln. Sommerfest 21. Juni 1913, 5 Uhr im Park von Herrn und Frau Kommerzienrat Schütte, Marienburg. Köln 1913.
4 Siehe http://www.kopfwelten.org/kp/quellen/
5 Siehe z.B. Historisches Archiv der Stadt Köln (HAStK), Bestand 902 (Adenauer), 278/1, Bl. 5 u. 25.
6 Kölnische Zeitung 855, 17.11.1926.
7 Soll Deutschland Kolonialpolitik treiben? Eine Umfrage, in: Europäische Gespräche. Hamburger Monatshefte für Auswärtige Politik XII, Dezember 1927, S. 609-611.
8 Ebd., 611.
9 Zur „Kolonialen Sonderschau“ siehe http://www.kopfwelten.org/kp/ereignisse/pressa1928/index.html.
10 Siehe auch: Bundesarchiv (BArch) Internationale Presseausstellung in Köln, R 1001/6390.
11 BArch Deutsche Kolonialgesellschaft R 8023/664, Bl. 56 u. Bl. 157/158. Schacht war von 1923 bis 1930 und von März 1933 bis Januar 1939 Reichsbankpräsident. Obwohl er also zum Zeitpunkt der Anfrage diese Position nicht innehatte, wird er in der Korrespondenz entsprechend angeredet.
12 BArch Deutsche Kolonialgesellschaft R 8023/798, Bl. 622, 411; HAStK, Bestand 902 (Adenauer), 278/1, Bl. 35 u. 37.
13 BArch Deutsche Kolonialgesellschaft R 8023/664, Bl. 86-88.
14 Kölner Lokal-Anzeiger 331, 17.7.1931.
15 Adenauers Rede findet sich im HAStK, Bestand 902 (Adenauer), A 287/7, Bl.593-599.
16 Siehe z.B. Kölner Lokal-Anzeiger 562, 30.11.1931 u. 563, 30.11.1931; Kölnische Zeitung 653, 30.11.2931.
17 HAStK, Bestand 902 (Adenauer), 304/3, Bl. 114.; BArch Deutsche Kolonialgesellschaft R 8023/395, Bl. 1
18 Übersee- und Kolonial-Zeitung 1932, Nr. 11, S. 257-263. Die Deutsche Kolonialgesellschaft wurde eigentlich erst zum 1. Januar 1888 gegründet. Hier wurde offenbar das Gründungsjahr des Deutschen Kolonialvereins, einer der später zur DKG verschmolzenen Vorläufervereinigungen zugrunde gelegt.
19 Bestand Deutsche Kolonialgesellschaft R 8023/710, Bl. 6-10.

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Letzte Aktualisierung am: 04.11.2023